Die Gelbe Bürg

in fränkischer Zeit

Die Gelbe Bürg als fränkische Burg

Choldwig von Tornai

Die Taufe Chlodwigs

Im Laufe des 6. Jahrhunderts war das fränkische Reich von allen germanischen Reichen das weitaus größte und stärkste geworden. Noch im 5. Jahrhundert hatten die Franken lange Zeit eine unscheinbare Rolle gespielt. Ihre Sitze lagen im äußersten Nordosten Galliens vom Niederrhein bis zur Mosel hin zerstreut, ihnen fehlte eine feste politische Einheit, ihr Stamm war in mehrere kleine Gruppen zersplittert. Als Hilfstruppen dienten sie unter kleinen Gaukönigen römischen Offizieren in Mittelgallien zwischen Somme und Loire. Aber im Verlaufe eines Menschenalters hatte einer ihrer Gaukönige, der Merowinger Chlodwich von Tornai sich zum Herrn über ganz Nordgallien aufgeschwungen und die Westgoten aus Südgallien verdrängt. Ihm gelang es, die zahlreichen Stammessplitter zu einem großen Stammesverband zusammenzufassen. Durch Anschluß an die katholische Kirche hatte er sich frühzeitig die Unterstützung durch die einheimische gallo-romanische Bevölkerung gesichert.

Fast gleichzeitig mit dieser gewaltigen Ausdehnung auf altem römischen Reichsboden in Gallien erfolgte ein raumgreifender Vorstoß über den Rhein entlang dem Main nach Osten in rein germanisches Land. In wenigen Jahrzehnten war ein ansehnlicher Teil der rechtsrheinischen Bevölkerung ihrem Reich angegliedert. Die Alemannen wurden an einem unbekannten Ort am Oberrhein besiegt, wenige Jahre später erlag auch das Thüringerreich den Söhnen Chlodwigs.

Die siedlungsgeschichtlichen Vorgänge, die mit dieser Ausdehnung der fränkischen Herrschaft nach Osten verbunden sind, kennen wir unter dem Begriff Fränkische Landnahme oder ostfränkische Kolonisation. Sie sind in den letzten Jahren ein beliebtes Forschungsfeld der fränkischen Landesgeschichte, der Siedlungs- und Verfassungsgeschichte sowie der Ortsnamen- und Mundartforschung geworden. Über die Tatsache dieser "kriegsgewohnten Expansion des fränkischen Stammes unter zielbewußter staatlicher Führung" (v. Guttenberg) besteht in der Forschung Übereinstimmung. In der Frage nach der Art und den Methoden dieser raumausgreifenden fränkischen Machtausweitung vom Rhein zur Donau hin streben die Anschauungen auseinander. Die ältere Forschung glaubte noch an eine starke volksmäßige Siedlung fränkischer Bauern in breitem Umfang, die in Sippenverbänden einrückten und zahlreiche Ortschaften am Main, an der Rednitz, an der Altmühl in der Hesselberggegend und im Ries gründeten, die durch die Ortsnamenendung -heim heute noch als fränkische Anlagen zu erkennen seien. Das neu eroberte und mit fränkischen Siedlern erfüllte Land sei mit einem lückenlosen Netz von Grafschaften und scharf abgegrenzten Gauen überzogen worden. Vorstellungen über flächenhafte, moderne Verwaltungsorganisation wurden hier auf eine frühe Staatsgründung übertragen, deren innere Struktur nicht auf einer Herrschaft über eine Fläche, sondern auf der Herrschaft über Personen aufgebaut war.

Mit Recht hat man gegen die Anschauung von einer massenhaften Einwanderung fränkischer Standesgenossen die Frage erhoben, woher denn der fränkische Stamm die Menschen genommen habe, diese weiten Räume in Gallien und Germanien auszufüllen. Seit Ernst Schwarz den Nachweis erbringen konnte, daß die ostfränkische Mundart auf den sprachlichen Grundlagen elbgermanischer Stämme erwachsen ist und das eigentlich fränkische in Ostfranken selbst so gut wie keinen Niederschlag gefunden hat, ist man überzeugt, daß die neue fränkische Herrschaft am Main die früher elbgermanische Bevölkerung sitzen ließ und sie nur überlagerte (1). Die neuere Forschung ist daher von den Begriffen fränkische Siedlung und fränkische Kolonisation etwas abgerückt. Sie spricht mehr von einer "Verfrankung" einer eingesessenen elbgermanischen Bevölkerung. Das fränkische Königtum überzog die neueroberten Lande auch nicht mit einem lückenlosen Netz von Grafschaften und Gauen im Sinne moderner, flächenmäßiger Staatsverwaltung, sondern begnügte sich "an Straßen und strategisch-politisch wichtigen Punkten seine Position um Burgen und Königshöfen aufzurichten". Man spricht weniger von Gauen und Grafschaften als festumrissenen Amtssprengeln, sondern von "Zentren, Fixpunkten, von Königsmarken, Pfalzen und Königsklöstern", von kleinteiligen Gebilden also, als den "Stützpunkten" eines überstarken Königswillens in Verbindung mit dem fränkischen Adel (2).

Diese allgemeinen Erkenntnisse, die die fränkische Landesgeschichte über die Methoden der Machtausweitung des fränkischen Staates in Ostfranken gewonnen hat, gilt es nun auch für den engen Raum um die Gelbe Bürg zu überprüfen. Welche Bedeutung erlangte die Gelbe Bürg in fränkischer Zeit? Diese Frage führt uns in ein heimatgeschichtliches Neuland. Die Fülle der Funde aus der Merowingerzeit, die man auf dem Berg entdeckte, die Zerstörung von Reihengräbern im Befestigungsbereich sprechen für eine Besetzung der Gelben Bürg im 6. Jahrhundert. Aber die schriftlichen Zeugnisse fehlen. Wie anderwärts ist auch hier die Frühgeschichte dieses Berges in völliges urkundliches Dunkel gehüllt. Wir wollen versuchen, dieses Dunkel aufzuhellen und von der Siedlungsgeschichte seiner ihn umgebenden Landschaft her seine fränkische Geschichte aufzuhellen. Wir stellen unsere Frage in einem etwas weiteren Rahmen: Hatte die fränkische Königsgewalt überhaupt ein Interesse an dem Raum um die Gelbe Bürg?

Das Land zu Füßen der Bürg ist altbesiedeltes Offenland, ziemlich weit entfernt von den merowingischen Kernlandschaften zwischen Niederrhein und Mosel. Man müßte daher nach den alten Vorstellungen über die ostfränkische Kolonisation ein Vordringen in diesen Raum mit verminderter Kraft erwarten. Aber das Interesse der merowingischen Könige und ihrer adeligen Vasallen an einem Raum richtete sich weniger nach der Entfernung von ihrem Stammesgebiet, als nach der politischen und strategischen Bedeutung. Spessart und Odenwald, die weit näher an den fränkischen Stammlanden lagen, wurden umgangen und ausgespart, weil sie als bewaldete Gebirgslandschaften zunächst als politisches Kraftfeld bedeutungslos waren. Steigerwald und Frankenhöhe, sowie der Fränkische Keuperwald rückten erst unter den Karolingern mit fortschreitender Erschließung und Besiedlung in das politische Blickfeld. Dagegen richtete sich das Augenmerk der merowingischen Könige auf die, wenn auch weit entfernten Offenlandschaften um Würzburg, die Windsheimer Bucht, das Grabfeld, die Obermainlande, das Regnitzbecken und auch auf die großen Altsiedelgebiete südlich des Limes. Man begnügte sich zunächst mit der Besetzung und Beherrschung der weiträumigen und oft weit entfernten waldfreien Kulturlandschaften, die die Stützpunkte der Herrschaft bildeten. Von hier aus drang man dann fortschreitend in den folgenden Jahrhunderten in die Wälder vor und kam so zu einem zusammenhängenden fränkisch beherrschten Staatsgebilde in der Karolingerzeit.

Das Freiland um den Hahnenkamm und die Gelbe Bürg war einer von vielen Stützpunkten merowingischer Königsherrschaft und zwar ein sehr wertvoller. Wir können daher annehmen, daß die Stärke der fränkischen Expansion in diesem Raum nicht mit verminderter Kraft wirkte, sondern sich hier auseinanderzusetzen hatte mit der alemannischen Abwehr. Das Bild vom "fränkischen Korridor", der hier an der Altmühl zwischen dem alemannischen und bayerischen Stammesraum errichtet wurde, hat seine Berechtigung. Hier darf man auch eine besonders starke Ausprägung des fränkischen Königswillens erwarten. Das alte Bauland um den Hahnenkamm war alter römischer Reichsboden, vom Limes umschlossen und durch Kastelle gegen das siedlungsfeindliche, aber nicht verkehrsfeindliche Keuperwaldgebiet gesichert. Die römische Militärmacht hatte diesen Raum mit einem Netz technisch hervorragend gebauter und strategisch gut geführter Heerstraßen überzogen. Selbst die Besiedlung des Gebietes war nach wehrpolitischen Grundsätzen durchgeführt worden. Die auffallend dichte Besiedlung hinter dem Limes hängt wohl mit der Seßhaftmachung der Soldaten zusammen, denen nach oder schon während ihrer Dienstzeit Land in der Nähe ihrer Garnison angewiesen wurde. Nach dem Durchbruch der Alemannen durch den Limes ging das ehemalige römische Staatsgebiet nicht in die Hände alemannischer freier Kleinbauern über, sondern wurde Eigentum des Adels, der mit zahlreichen abhängigen Unfreien wirtschaftete.

Mit dem Eintreffen der Franken war ein größerer Bevölkerungswechsel wohl kaum verbunden. An die Stelle des alemannischen Gaukönigs trat der fränkische König als Besitzer des Landes, der hier seine adeligen Vertrauten mit ihrem Gefolge hineinsetzte. Das ehemalige römische Staatsland wurde fränkisches Königsgut. Von einem einheimischen alemannischen Adel vor Beginn der fränkischen Herrschaft in unserem Raum erfahren wir nichts. Sicherlich dürfen wir zumindest im Ries oder im Riesvorland einen der zahlreichen kleinen alemannischen Gaukönige vermuten, der hier über seine abhängigen Leute regierte. Ob der alemannischen Adel durch die neuen fränkischen Herren entrechtet wurde, wissen wir nicht. In den ersten Jahrzehnten nach der Unterwerfung haben die fränkischen Könige es doch für gut befunden, die Verwaltung dieser politisch und strategisch wichtigen Gebiete nicht dem einheimischen Adel zu überlassen, sondern an wichtige Posten ihre eigenen Landsleute zu setzen. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß auch die unmittelbare Umgebung der Gelben Bürg schon in merowingischer Zeit besetzt und adelige Herren fränkischer Abkunft in diesen Raum verpflanzt wurden.

Merowingerreich

Das Frankenreich zum Ende der Merowinger-Herrschaft

Vergrößerung

Die neuen Herren kamen freilich nicht allein. Zur Durchsetzung ihrer staatspolitischen Aufgaben brachten sie ein ansehnliches Gefolge mit. Noch war das unterworfene alemannische Stammesgebiet nicht überall befriedet. Die kleinen alemannischen Gaukönige unterstanden keiner einheitlichen Zentralgewalt. Sie konnten auf eigene Faust sich den Franken unterwerfen oder gegen sie Widerstand leisten. Es mußte mit lokalen Aufständen in den weiten neueroberten Gebieten östlich des Rheins gerechnet werden. Die wichtigste Aufgabe des fränkischen Adels war daher zunächst die Sicherung und Beherrschung des eroberten Gebietes. Zur Ausübung ihrer Herrschaft und zur Durchsetzung ihres ihnen vom König erteilten Auftrages bauten sich die neuen Herrn feste Stützpunkte. Diese waren neben den Königshöfen vor allem die Burgen. Man hat bisher in der Forschung die Aufmerksamkeit vor allem auf die Königshöfe gerichtet, die Burgen aber weniger beachtet (3). An eine hochmittelalterliche Herrenburg mit hochragenden Türmen, mit festen Mauern und Zinnen, mit Kalkmörtel gemauert, darf dabei freilich nicht gedacht werden. Sie sind ein Gebilde späterer Zeit und verfeinerter Festungsbaukunst. Die Burgen, die sich der fränkische Adel in den Raum südlich des Limes zur Sicherung und Beherrschung des Landes erbaute, waren unscheinbar und einfacher als die mittelalterlichen. Sie dienten wohl auch nicht als ständiger Wohnraum, sondern waren nur in Zeiten der Gefahr besetzt.

Die fränkischen Burgen kamen in ihrer Bauweise wohl noch sehr den alten germanischen Volksburgen nahe. Der Begriff Volksburg ist freilich nicht gerade glücklich gewählt. Er erweckt den Verdacht, diese Volksburgen wären vom Volk gebaut worden. Inder aristokratischen Welt des Mittelalters aber kann nur der Adelige Besitzer einer Burg gewesen sein, er ließ sie erbauen mit dem Dienst seiner unfreien und abhängigen Leute, denen der Herr dann in Zeiten der Not Schutz gewährte. Ein Graben und dahinter ein holzversteiftes Trockenmauerwerk oder ein Wall, errichtet auf schwer zugänglichen Höhen oder unpassierbarem Sumpfgelände, vielleicht noch ein gezimmerter Turm zur besseren Sicht, das war im wesentlichen die frühmittelalterliche Burg. Doch nicht die Form und das Aussehen bestimmten den Wert einer Burg, sondern ihr Zweck und die Wirkungen, die von ihr ausgehen. Zweck der fränkischen Burgen war die Sicherung und Raumbeherrschung des neu gewonnenen Landes.

Wenn nun der neue fränkische Herr, der in das waldfreie Offenland an der mittleren Altmühl verpflanzt wurde, Ausschau hielt nach einem Fixpunkt, von dem aus sich seine Herrschaft im neuen Lande verwurzeln ließ, so bot sich ihm als günstiger Ort die Gelbe Bürg an. Dort oben hatten ja schon die Menschen der Urnenfelderzeit und der späten Hallstattzeit eine befestigte Höhensiedlung errichtet. Ihre Mauern waren wohl längst zusammengestürzt, aber warum sollte man nicht diesen von Natur aus geschützten Ort wieder befestigen. Vielleicht herrschte von dort oben auch schon ein alemannischer Adeliger über das umliegende Land.

Es spricht alles dafür, daß die Gelbe Bürg in fränkischer Zeit entweder erneut befestigt oder zumindest doch als Mittelpunkt einer Adelsherrschaft im Auftrag des Königs ausgebaut wurde. Auf dieser von Natur aus geschützten Höhe konnten sich im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung die adeligen Gefolgschaftsleute um ihren Gefolgsherrn scharen, hier konnten in den umfriedeten Raum bei einer Stammesfehde die abhängigen Bauern mit ihrer Habe flüchten und des Schutzes eines mächtigen Herren gewärtig sein. So konnten sich Freie und Unfreie, Herren und Knechte unwillkürlich in Zeiten der Not um einen Mächtigen scharen. Der Herr, dem die Burg gehört, wird auch in Friedenszeiten zum Herrn der ganzen Landschaft. Er hat viele abhängige Bauern, die für ihn arbeiten, er hat ein kriegerisches Gefolge, er ist reich und mächtig, er hat seine Burg, die zum Mittelpunkt seiner adeligen Herrschaft und damit auch zum Mittelpunkt der öffentlichen Ordnung wird.

War nun die Gelbe Bürg in fränkischer Zeit wirklich das Fundament einer fränkischen Adelsherrschaft? Die Ausgrabungen Dr. Eidams ergaben unzweideutig, daß die Befestigung der Bergkrone in zwei Phasen erfolgte, einer älteren und einer jüngeren. Die ältere wird der Urnenfelderzeit, die jüngere der Hallstattzeit zugeschrieben. Die jüngere Befestigung hält Reinecke für ein Werk der späten Keltenzeit. Er reiht die Gelbe Bürg ein in die Reihe der großen keltischen Befestigungen auf süddeutschem Boden (4). Dagegen wendet sich neuerdings Klaus Schwarz. Er ist der Meinung "die Spätlatenezeit scheidet wegen der Spärlichkeit des Fundaufkommens aus, weshalb entgegen der Vermutung von Paul Reinecke mit einem spätkeltischen Oppidum auf dem Berge nicht zu rechnen ist (5)". Er hält es für möglich, daß angesichts der Fülle spätkaiserzeitlicher und merowingischer Funde ein befestigter Ausbau des Berges etwa 100 Jahre nach dem Abzug der Römer erfolgte. Diese germanisch-kaiserzeitliche Burg mag ein schon "permanent bewohnter Gaufürstensitz " (Schwarz) gewesen sein. Wenn über die genaue zeitliche Einstufung der Befestigungsbauten auf der Gelben Bürg auch erst moderne Grabungen Aufschluß geben können, so wird doch hier von der Vorgeschichte her mit der Möglichkeit einer dritten Bauphase, also mit einer alemannischen oder fränkischen Adelsburg gerechnet. Wir wollen versuchen, ob sich von der Siedlungsgeschichte her nicht Beobachtungen zusammentragen lassen, die diese These bestätigen können.

Anmerkungen

  1. Ernst Schwarz, Die elbgerm. Grundl. Des Ostfränkischen in Jahrb. f. fr. Landesforschung, Nr. 15, S. 31 - 67
  2. Darüber ausführlich: Karl Bosl, Franken um 800, München 1959
  3. Heinrich Dannenbauer, Adel, Burg und Herrschaft bei den Germanen in Grundlagen der mittelalterlichen Welt, Stuttgart 1958, S. 121 - 178
  4. Bay. Vorgeschichtsfreund, Heft 9, S. 50
  5. Klaus Schwarz, Führer zu Bay. Vorgeschichtsexkursionen, Bd. I, Kallmünz 1962, S. 62